Peter Jakob Kühn „Herbstbericht 2020“

„Nur den Mut nicht sinken lassen.“

Dieser Satz von meinem Urgroßvater hat im Laufe der Jahre schon so manchen hängenden Kopf wieder aufgerichtet. Zuversicht und Mut können wir gut gebrauchen, angesichts der Einschränkungen in vielen Bereichen unseres gewohnten Lebens. Wir teilen die Sorgen unserer Freunde und Weggefährten, die aufgrund der Beschränkungen ihren Berufen aktuell nicht nachgehen können, die vor großen Fragezeichen und ungewissen Perspektiven stehen. Das sind große Entbehrungen, doch wir wollen versuchen nicht zu vergessen, dass sie das Ziel haben, unsere Familien und Freunde zu schützen, sodass wir gesund durch diese Zeit kommen und im Rückblick gemeinsam stärker geworden sind.

Wir als Winzer haben das Glück, dass unser Beruf uns nach Draußen zieht. Dass wir nicht in den Ballungszentren der Gesellschaft leben, sondern auf dem Land. Dass wir durch die Verschiebung von Verkostungen, Messen und Geschäftsreisen viel Zeit haben, um im Weinberg zu sein. Und so war die Nähe zu den Reben im vergangenen Jahr sogar noch größer als sonst, die Beziehung noch stärker, und je mehr wir Draußen sind, desto gefestigter können wir entscheiden, was zu tun ist, um am Ende die schönsten Träubchen zu lesen. Unsere biologische Arbeit im Weinberg ist ein Prozess, der sich von Jahr zu Jahr entwickelt und befruchtet. Die Pflege der Böden mit unserem Kompost und die Einsaat von Begrünungsmischungen verlebendigen die Erde, stärken das Miteinander von Rebe und Terroir, und es entstehen mit der Zeit individuelle kleine Ökosysteme, die sich immer deutlicher und prägnanter zum Ausdruck bringen können. Wir sehen das, wenn wir die Pflanzen, Insekten, Tiere und Vögel beobachten, die dort leben. Wir können das aber auch schmecken, wenn wir die Weine aus den verschiedenen Parzellen verkosten. Und am wichtigsten: lebendige Böden sind besser in der Lage, Wasser zu speichern und gleichmäßig wieder abzugeben, was besonders in den letzten drei Jahren sehr wichtig war, wo der Regen im Sommer selten war.

2020 war das dritte Jahr in Folge, in dem es während des Sommers sehr trocken war. In dieser Hinsicht haben wir neue Facetten unserer Weinberge kennengelernt. Wir haben deutlich gesehen, wo es Wasseradern im Untergrund gibt, die von den Wurzeln der alten Rebstöcke erreicht werden. Wir haben auch gesehen, wo die Böden mehr Wasser speichern können, was den Pflanzen zur Verfügung steht, beziehungsweise wo sie durchlässiger sind, und es deshalb mehr Probleme mit Trockenheit gibt. Diese Unterschiede zu beobachten und darauf einzugehen war besonders wichtig. Daraus ergaben sich viele Fragen: Wie gehen wir mit der Begrünung zwischen den Reben um? – Halten wir sie kurz getrimmt, sodass sie gar nicht erst auf die Idee kommt Wasser zu verbrauchen? – Oder regt das ständige Mähen vielleicht sogar einen noch größeren Wasserverbrauch an, weil die Pflanzen ständig ums Überleben kämpfen und dafür unbedingt bis zu ihrer Blüte wachsen wollen? Könnte eine ausgewachsene Begrünung wie eine schattenspendende Decke auf dem Boden liegen und ihn kühlen, sodass insgesamt sogar weniger Wasser verbraucht wird? – Bringt das Ruhe ins Wachstum? Und was ist mit den Blättern, die wir sonst immer im Sommer in emsiger und mühsamer Handarbeit um die Trauben herum abgezupft haben, damit sie besser belüftet werden und Pilze es schwerer haben? – Wir haben all die verschiedenen Handgriffe, die wir im Jahresverlauf an der Rebe durchführen, neu überdacht, mit viel Empathie für die Pflanzen und unter Berücksichtigung der jeweiligen Standortfaktoren. Das gilt eigentlich jedes Jahr, doch manchmal wird es uns besonders bewusst. Jede sorgsame Hand, die die Rebe berührt, überträgt Qualität – das ist unsere Überzeugung. Mit den Jahren, die wir nun mit dieser Sensibilität arbeiten, hat sich das Wachstumsverhalten der Reben zusehends verändert, was sich auch auf die Reifeentwicklung auswirkt. Oft sind unsere Trauben etwas früher reif, haben aber eine andere Reifebalance entwickelt, mit strahlenden, explosiven Aromen und saftiger Frische bei relativ niedrigen Zuckergehalten. Es ist eine harmonische Reife – ohne Stress – die wir in den letzten Jahren immer wieder deutlich beobachten konnten, und die uns sehr gut gefällt, denn so sind unsere Weine voller lebendiger Intensität und gleichzeitig feingliedrig, elegant und tänzelnd.

Dieses Jahr sind wir am 27. und 28. August, mit den Parzellen für unsere Sektgrundweine, in die Lese gestartet – fast so früh wie in 2018. Sekt ist ein tolles Thema und macht uns großen Spaß. Es geht darum, geschmackliche Reife bei niedrigem Alkohol zu erreichen, sodass der fertige Sekt, dem während der zweiten Gärung ja in der Regel zusätzlich Zucker zugefügt wird, nicht zu schwerfällig wird. Neben Riesling haben wir dafür drei kleine Parzellen mit Weißburgunder, Auxerrois und Spätburgunder gelesen, die zu einer schönen Cuvée Blanc und Blanc de Noir werden. Genau wie bei unseren Weinen legen wir auch beim Sekt viel Wert auf Zeit und Ruhe im Ausbau, sodass wir die Ergebnisse aus 2020 erst in ein paar Jahren gemeinsam genießen können. Die Trauben haben gestrahlt und die Sonne ebenso, sodass wir uns auf ein sehr schönes Resultat freuen können.

Eine gute Woche später ging es mit den Spätburgundern aus unseren Lagen Klosterberg und Frühenberg weiter. Die Bedingungen waren bilderbuchmäßig, wobei es Tagsüber noch ziemlich warm war und wir vor allem in den kühleren Morgenstunden gelesen haben. Die kleinen roten Träubchen zauberten explosive Aromafeuerwerke auf die Zunge, sodass wir wussten, dass der Zeitpunkt perfekt war. Etwa zwei Drittel der Trauben wurden vorsichtig per Hand Entrappt und der Rest als ganze Trauben belassen. Nach 18 Tagen auf der Maische wurden die jungen Rotweine dann gepresst und in ihre kleinen Barriques gelegt, wo sie jetzt ein Jahr lang reifen. Sie zeigen schon jetzt eine aromatische Tiefe, die mich ein wenig an den druckvollen Jahrgang 2015 erinnert, doch haben sie eine etwas filigranere Figur. Wir lieben die Feinheit und die seidige Eleganz, die im Spätburgunder veranlagt ist und freuen uns auf die kommenden Monate, in der wir ihre Entwicklung begleiten werden.

Auch die Riesling-Lese war dieses Jahr ein Geschenk. Die Reife war sehr ausgewogen und die Träubchen schön saftig, sehr gesund mit festen Schalen. Besonders in Parzellen, die von Grundwasseradern aus dem Taunusgebirge durchzogen werden, wo der ausgedehnte Wald Regen sammelt, der unterirdisch zum Rhein fließt, haben die Trauben gestrahlt. Die Wurzeln unserer alten Reben sind tief genug, um diese Wasseradern zu erreichen. Wir nutzten das stabile Wetter und die gute Gesundheit der Trauben für eine präzise Vorlese, bei der wir etwa die Hälfte der Trauben selektiv gelesen haben. An den Reben blieben ausschließlich perfekte Träubchen hängen, die kerngesund und lockerbeerig waren, aber auch die Trauben der Vorlese hatten eine wirklich fantastische Qualität. Sie wurden kompromisslos und präzise selektiert und schmeckten geradezu elektrifizierend, perfekte Voraussetzungen für den Jacobus.

Nach der Vorlese konnten wir die Entwicklung der Trauben genau verfolgen und den Zeitpunkt der Lese punktgenau bestimmen. Jeweils bei Sonnenaufgang der Tage Mitte September waren wir im Weinberg und brachten unsere besten Parzellen nach Hause. Es waren Momente mit magischer Atmosphäre, ein Highlight nach dem anderen. Die Trauben transportierten die Energie des ganzen Sommers auf die Zunge. Wer sie probiert hat, wusste sofort, dass es ein wunderschöner Jahrgang werden wird.

Wenn wir jetzt in den Keller gehen, blubbern die meisten Fässer noch leise flüsternd die zarte Melodie des neuen Jahrgangs. Es ist der intimste und gemütlichste Ort der Welt. Die eigenständigen Persönlichkeiten der einzelnen Fässer werden sich in den nächsten Wochen und Monaten zusehends entfalten. Sie auf diesem Weg zu begleiten ist jedes Jahr aufs Neue eine fantastische gemeinsame Reise. Text: Weingut Peter Jakob Kühn

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