Das Restaurant tablo im Essener Südviertel: Türkisch für Fortgeschrittene?

Auf dieses Essen freute ich mich sehr, denn die Vorzeichen für einen kulinarisch spannenden Abend standen durchaus gut: seit 20 Jahren nämlich behauptet sich das Restaurant tablo erfolgreich im Essener Südviertel mit ambitionierter und mit kompromissloser Produktqualität aufwartender, türkisch-mediterraner Küche, die auch dem Gault Millau – vor der schrulligen Reformation seines Bewertungssystems – bis heute respektable 14 Punkte wert ist; unter dem Strich hierzulande doch eher eine Seltenheit in diesem Gastro-Genre.

Zudem sei tagesfrischer Fisch bester Qualität eine wichtige Note in der Küche des Restaurants auf dessen Ansatz ich sehr gespannt war: Würde man sich eher der „progressive Vintage“ Stilistik zurechnen, sprich traditionelle Gerichte mehr oder weniger modern interpretieren und abwandeln?

Würden uns Kreationen wie bspw. im nicht unbekannten, griechisch geprägten Kölner Restaurant phaedra von Kostas Tzikas erwarten, das zumindest dem ersten Anschein nach durchaus eine ähnliche Ausrichtung verfolgen könnte?

Meine ersten Begegnungen mit türkischer Kulinarik

Denn die türkische Küche ist für mich durchaus auch mit Kindheitserinnerungen besetzt, die so manchem Traditionsgericht mitunter auch eine emotionale Genuss-Ebene beschert.

Ich stimme nämlich mit meinem stets fein und reflektiert beobachtenden Bruder im Geiste, dem Ruhrgebiets-Kulinarik-Blogger-Urgestein Peter Krauskopf völlig überein: die Küchen der Einwanderer, all die italienischen, griechischen, spanischen, jugoslawischen Restaurants, haben viele von uns in kulinarischer Hinsicht und Identität mindestens genauso geprägt, wie es die deftigen NRW Regionalküchen und Omas Kohlroulade getan haben dürften.

In meinem Falle ist dies definitiv so, die rückblickend vergleichsweise naturgemäß fade Salz und Pfeffer Küche meiner Mutter und Großmutter ließen für mich als Kind Besuche in diesen Restaurants stets wie aromenreiche, bunte Farbtupfer in einem von Wirsing-Eintopf und Co. oder Offerten der zeitgenössischen TK-Industrie beherrschten, in Sachen Würzung  „grauen“ Alltag am heimischen Herd erstrahlen, die ich schon damals mit viel Neugier und Offenheit nach Kräften genoss.

Zugegeben war das Angebot an türkischen Restaurants in den frühen 80er Jahren, im Gegensatz zu Köln oder dem Ruhrgebiet, in meinem beschaulichen Bergischen Land eher rar gesät, schließlich sprechen wir zudem von einer Zeit vormals der „Döner-Budisierung“ der Innenstädte.

Allerdings hatte ich in der Grundschule viele türkische Mitschüler bzw. echte Schulfreunde, deren Mütter es sich bei Schulfesten oder privaten Besuchen nicht nehmen ließen, u.a. mit Dingen wie Köfte, Cacık und Kısır aufzuwarten und meinen kindlichen Gaumen mit „orientalischer Exotik“ zu verzaubern: warme Momente, an die ich mich noch heute lebhaft und gerne erinnere.

Somit waren also Herz und Kopf vorfreudig bei der Sache, als ich an einem angenehm temperierten, sommerlichen Mittwochabend auf der Huyssenallee ankam und das Vehikel mit etwas Glück nur wenige Schritte vom Restaurant entfernt abstellen konnte.

Vor Ort im Essener Südviertel

Angesichts des 20-jährigen Jubiläums lud das Haus einige Vertreter der schreibenden Zunft zu einem abermals routiniert vom engagierten Foto-Journalisten Michael Alisch organisierten Presse-Essen ein und auch die Tischgespräche mit den hauptberuflich agierenden Mitstreitern von WAZ, Überblick Verlag und Co. versprachen daher erneut einen interessanten wie unterhaltsamen Abend.

Vom Standort selbst war ich zunächst denkbar angenehm überrascht. Essen ist für mich in vieler Hinsicht Terra incognita, nicht nur kulinarisch. Der vorherige Blick auf Google Maps offenbarte eine Lage unweit des Hauptbahnhofes, ich mutmaßte viel Autoverkehr und ein mitunter zwielichtiges Umfeld, hoch sollen sie leben, die Vorurteile Bahnhofsviertel betreffend.

Aber das Gegenteil war der Fall, die Huyssenallee entpuppte sich als ruhige, teilweise begrünte Seitenstraße, der gesamte Hauptverkehr fließt um das gepflegte, Wohn- und Gewerbeflächen bietende Quartier, in dem das tablo residiert, herum und somit ist auch die einladende Außengastronomie des Restaurants eine entspannte Option, wenn die Temperaturen dazu einladen.

Im stilvollen Ambiente des offen und hell gehaltenen, klimatisierten Gastraumes war das Küchenteam und der uniform in gepflegtes Schwarz-Weiß mit passender Weste und herrlich klassischer Fliege gewandete, heute ausschließlich männlich besetzte Service indes in geschäftiger, aber dennoch entspannt routinierter Manier dabei, in letzten finalen Schritten das Abendgeschäft vorzubereiten.

So wurde gerade die beindruckend bestückte Frischfisch-Schautheke mit Hingabe mit den heutigen, qualitativ hochklassigen Offerten wie Wildgambas, Steinbutt, Dorade Royal, Seezunge und Loup de mer drapiert – täglich frisch mit Rungis Express geliefert wie ich später erfuhr, und schon optisch unterstrich die Ware durchweg ihre „royale“ Provenienz. Das wiederum lässt man sich allerdings auch entsprechend bezahlen, wobei man angesichts der Einkaufspreise  und der gebotenen Produktqualität hier trotzdem nie den Boden der Tatsachen verlässt, soviel sei vorweggenommen.

In einer den Stil des Hauses in dieser Hinsicht prägenden Mischung aus serviler, respektvoller Höflichkeit begrüßte man mich, zeigte mir den für uns eingedeckten runden Tisch in der Mitte des Geschehens und bejahte freudig meine Frage, ob ich vorab ausgiebig Fotos machen könne.

Auch der Patron des Hauses, Herr Yilmaz Dogan, trat erstmalig in Erscheinung und hieß mich ebenfalls herzlich willkommen, der ideenreiche Gastronom sollte sich Zeit nehmen und saß den ganzen Abend mit am Tisch, um Fragen direkt beantworten zu können und während der Degustation mit interessanten Fakten zur türkischen Küche und seiner Philosophie aufzuwarten.

Er wolle moderne türkische Küche bieten, gerne u.a. vermehrt vegetarisch und vegan, die auch dem starken Fokus des Hauses auf begleitende, gepflegte Weine gerecht werden solle: das klang alles mehr als vielversprechend.

Der Abend nahm seinen Lauf

Nachdem unser Tisch komplett eingetrudelt war zeigte man uns nicht ohne Stolz das nobel ausgestaltete Untergeschoss, das neben einem stimmungsvoll illuminierten Gesellschaftsraum auch eine im Stil einer Vinothek dekorierte Nische bietet, in der viele der ansprechenden Positionen der umfangreichen Weinkarte des Hauses zum außerhäusigen Verkauf angeboten werden.

Frisch gebackene kleine Pita-Brötchen wurden geräuschlos auf die Brotteller gelegt, zum Aperitif hatten wir die Wahl zwischen einem alkoholfreien Cocktail oder aber einem in traditioneller Flaschengärung hergestellten, aus reinem Chardonnay bestehenden Blanc de Blancs des Weingutes Kavaklidere aus der Region Ankara.

Hurra, „Champagner“ vom Bosporus, da schau her! Türkische Weine sind im Gegensatz zu griechischen absolutes Neuland für mich, die Ankündigung, auch im Verlauf spannende Reben aus der Heimat präsentieren zu wollen, freute mich außerordentlich.

An dieser Stelle sei aber angemerkt, dass die ansprechende, umfangreiche Weinkarte auch ganz Europa abdeckt, wer also bspw. mit einem „Wegeler Geheimrat“ eine 2015er Riesling Spätlese eines renommierten VDP Weingutes bevorzugt, wird auch hier in der Karte fündig.

Der mir servierte, südamerikanisch inspirierte, fruchtige aber mitnichten übersüßte und dabei erfrischend säuerliche alkoholfreie Cocktail – man hat einen eigenen Barista und Barmann im Team – wusste ebenso zu gefallen wie der türkische Schaumwein, den ich ebenfalls probierte: trocken, knackig, elegant. Zitrone, Honig und Salz mit etwas hefiger Butter und Zimt. Im Abgang mit einem Hauch von Würze, ich war sehr überrascht.

Kurz darauf folgte der eigentliche Auftakt des Menüs:

| 1. Gang |

Meze

2018 KAV, Narince, Doluca Wineyards, Tokat, Zentral-Anatolien, Türkei

Der Service servierte behände und routiniert eine Auswahl appetitlich ausschauender Klassiker mit einem luftigen großen Pita-Fladen mit schwarzem Sesam.

Im Einzelnen servierte man:

Haydari: Joghurtpüree mit Pfefferminze und frischen Dillspitzen    

Hummus: Kichererbsenpüree mit gestoßenem Sesam         

Antep ezme: pikantes Tomatenpüree mit Chili, Zwiebeln, Petersilie                  

Sıgara böreği: Blätterteigröllchen gefüllt mit Weißkäse und Petersilie

Sebze mücveri: gebratener Gemüsereibekuchen mit Käse

Patlıcan salatası: Auberginensalat mit frischen Kräutern

Pancarlı kısır: Bulgursalat- Variante mit Rote Beete, Apfel , Granatapfel

Sowie eine fein abgeschmeckte Artischocken-Crème, deren türkischer Name mir jedoch nicht geläufig ist, nennen wir sie einfach „Enginar kreması“, zumindest schlägt deepl.com dies vor und warum sollte ich da protestieren.

Während wir uns durch den kleinen Querschnitt probierten, erklärte Herr Dogan hin und wieder Details zur Tradition dieser Vorspeisen. Mit Bedacht wählte er seine Worte und Antworten auf interessierte Fragen, sprach in leisen Tönen ohne den manchen seiner Landsleute so eigenen Hang zum prahlerischen Großmann-Getue, ein feingeistiger Charakter mit viel Sinn für Genuss und Qualitätsbewusstsein, was seine Küche angeht.

Und diese seine Charaktereigenschaften sollten sich auch in die Vorspeisen auf den Tellern übersetzen und in alles, was an diesem Abend den Weg auf den Tisch finden sollte.

Die Meze Varianten waren von höchst traditioneller Prägung, modernistische Töne waren hier nicht zu finden, auch wenn mir die Kısır Variante mit Rote Beete in dieser Form neu war.

Dies allerdings handwerklich und in Sachen Produktqualität in Perfektion umgesetzt, Klasse statt Masse ist hier die Devise, auch im Vergleich mit orientalischen Restaurants, die Dutzende Vorspeisen Varianten als Kern des kulinarischen Konzeptes darbieten.

Alles hatte, geschmacklich und in der Verarbeitung, eine ausgeprägt „feine“ Note, die oft brachiale, ausnehmend knoblauchlastige und gesteigert scharfe Würzung sowie  rustikale Machart, die viele mit dieser Küche verbinden, findet hier nicht statt. Die versprochene Wein-Kompatibilität war immer gegeben, ohne dabei ins Fade abzudriften, man stellte tendenziell eher die Zutaten in das Aromen-Rampenlicht.

Das von mir geliebte, pikante Antep Ezme, ein kaltes Gemüseragout, das traditionell zusammen mit dem milden Haydari gegessen wird, gehörte mit zu den besten, dass ich je kosten durfte und selbst eigentlich leicht banale Dinge wie das frisch zubereitete Sıgara böreği boten eine Qualität, die ihresgleichen sucht, zumindest was meine bisherigen gastronomischen Erfahrungen hierzulande in dieser Hinsicht angeht.

Bemerkenswert in ihrer geschmacklichen Tiefe der wahrhaft köstliche Auberginensalat sowie das Dank Apfel und Granatapfel gekonnt mit Säure und einer leichten Süße spielende Rote Beete Kısır.

Auch wenn die meisten noch mit ihrem Cocktail oder dem erwähnten Schaumwein zu tun hatten, servierte man bei Interesse mit „KAV“ noch einen Wein aus der autochthonen Rebsorte Narince, die auch als „türkischer Chardonnay“ gehandelt wird.

Ein durchaus spannender Wein, der aufgrund seiner Noten vom grünen Apfel besonders mit dem Kısır harmonierte, aber auch mit der Artischocken-Creme, dem Hummus und dem Auberginensalat eine gute Pairing-Figur machte, selbst wenn seine ureigenen Stärken sicher in der Begleitung von Fisch in allen Varianten liegen dürften.

Indes unterstrich der Service eindrucksvoll den gehobenen Anspruch des Hauses, die gepflegten Herren waren an Aufmerksamkeit, Präsenz, Professionalität und Zuvorkommenheit kaum zu überbieten, lange keine solche Perfektion erlebt.

Und nein, nicht in einer Mischung aus operettenhafter, gemimter Servilität mit leichtem Hang zum Schmierigen (Stichwort „Nobel-Italiener“) sondern in einem mit Überzeugung souverän gelebten Verständnis einer gastorientierten Service-Kultur, wie man sie auch am Bosporus finden würde.

Ich erinnere mich an einen Moment – es war recht warm, der Wasserverbrauch dementsprechend hoch – an dem ich wieder einmal just mein Wasserglas geleert hatte und gerne noch einen Schluck gehabt hätte: Kaum schaute ich mich um, suchte einer der Herren sofort Blickkontakt, nickte mir kurz zu, griff, bevor ich etwas sagen konnte, in die Eisschale auf dem Nebentisch und mein Glas wurde mit angedeuteter Verbeugung und einem freundlichen Lächeln innerhalb von Sekunden wieder gefüllt.

Wer gerne gut essen geht, egal ob ein Stern an der Wand hängt oder nicht, hat sicherlich schon einiges an niveauvollen Service-Sternstunden erlebt. Was das tablo in dieser Hinsicht geboten hat, war jedoch in vieler Hinsicht bemerkenswert, für Geschäftsessen oder das intime Pärchen Dinner bei Kerzenlicht zeigt sich das Restaurant auch mit Blick auf diesen Aspekt als interessante Option.

Mittlerweile hatte sich auch der Gastraum zusehends gefüllt und die anwesende Gästeschar schien dies zu bestätigen. Hinter uns ein Tisch mit sechs Damen in den besten Jahren beim Freundinnen-Treffen, dazu einige Pärchen und eine Gruppe britischer Geschäftsleute mit den mir so vertrauten nordenglischen Akzenten; die Herren schienen den Abend kulinarisch sehr zu genießen wie zufällig aufgeschnappte Gesprächsfetzen verrieten. Kurzum: ein angenehmes Publikum.

| 2. Gang (Zwischengang) |

Lahana ve Pazı sarması (Wirsing-  und Mangoldroulade)

2021 Isabey, Sauvignon Blanc, Weingut Sevilen, Izmir, Agäis, Türkei

Im Rahmen unserer Degustation sollten wir von nun an, sieht man vom Dessert ab, beherrschbare Menü-Portionen erhalten, was angesichts der allerseits mit Appetit verspeisten Meze Auswahl und dem schmackhaften frischen Brot auch sehr sinnvoll war.

Serviert wurde je eine Wirsing-  und Mangoldroulade, gefüllt mit Reis, Maronen, Korinthen, Pinienkernen und frischen Kräutern. Zusammen mit der aromatischen Tomatensauce ergab sich ein harmonisches, dem Orient huldigendes Geschmacksbild, das zusätzlich von kühlem türkischen Joghurt bereichert wurde.

Jener hatte allerdings keinerlei Schärfe zu kontern, wie schon bei den Vorspeisen würzte man filigran und so hatte der aus einer Hochland-Einzellage in der küstennahen Ägäisregion stammende Sauvignon Blanc Gelegenheit zu glänzen: mit viel Frische, angenehm präsenter Säure und einem angenehm leichten Abgang.

Das Konzept, den Weinen genügend Raum zur Entfaltung zu geben schien bestens zu funktionieren.

Während man uns stolz den kapitalen Steinbutt präsentierte, den wir im späteren Verlauf genießen durften, wollte uns Herr Dogan noch spontan eine weitere kleine Freude machen und bat den Service, uns doch eine Probierportion der frisch gekochten, traditionellen Joghurtsuppe mit Kichererbsen zu bringen.

Diese Suppe wurde warm serviert, warum auch immer war ich bei „Joghurtsuppe“ irgendwie spontan im Gazpacho-Modus was die Erwartungen angeht, was sicher auch an der Witterung lag. Dennoch wiederum ein sehr traditionelles Gericht mit erfrischend säuerlichem Aromenspiel und willkommenes Neuland für den nimmersatten Food-Nerd in mir.

| 3. Gang |

Kaya mantarlı kalkan balığı (Steinbutt mit Steinpilzen)

2018 Côtes d’Avanos, Chardonnay, Kavaklidere Wineyards, Kızılırmak, Zentral-Anatolien, Türkei

Der Steinbutt wurde serviert und sei es die Zubereitung oder die Tellersprache, abermals waren die Produkte und ihre Aromatik selbst im Fokus.

Die Tranche des perfekt glasig gegarten Fisches platzierte man auf eine puristische Steinpilzzubereitung, die hocharomatischen Pilze sautierte man nur kurz zusammen mit etwas Frühlingslauch in Olivenöl, obenauf sorgte etwas Chili für einen leichten Schärfetouch.

Für mich war dieser Gang das Highlight des Menüs und für mich in seinem Purismus die Quintessenz dessen, für was das tablo stehen möchte. Ich habe Steinbutt in dieser Qualität selten gesehen oder gar verkostet und spätestens jetzt spürte und schmeckte man doch sehr deutlich, dass man sich hier stilistisch mitunter dramatisch vom landläufigen türkischen  Grillrestaurant unterscheidet.

Ein Highlight in Sachen Wein dann der begleitende Chardonnay aus Zentralanatolien. Er wird in 500- und 225-Liter-Fässern aus französischer Eiche in den Kellern der Kavaklıdere Weingüter in 950 m Höhe in der Nähe von Kızılırmak vergoren und ruht 10 Monate lang auf dem Trester. Helles Goldgelb in der Farbe. Die Aromen von Nektarinen, Aprikosen und Zitrusfrüchten werden von buttrigen und leicht rauchigen Nuancen begleitet und bietet auch mineralische Spuren im Abgang; ein ideales Pairing wie ich fand.

Vor dem folgenden Fleischgang war zunächst Neutralisation vonnöten, man servierte einen erfrischenden kleinen Cocktail mit Blue Curacao und Zitronensorbet der seinen Zweck in jeder Hinsicht solide erfüllen sollte.

| 4. Gang |

Adana Kebap ve kuzu file (Adana Kebap und Lammfilet)

2017 Pendore, Öküzgözü, Kavaklıdere Wineyard, Kemaliye, Agäisregion, Türkei

Unverhohlen gibt Herr Dogan zu, dass bei allem Bemühen um eine zeitgemäße Küche mit traditionellen Wurzeln einige türkische Soul-Food Klassiker auf der Karte nicht fehlen dürfen.

Das Adana Kebap vom Lammhack gehöre dazu, ein Probierstück davon schmiegte sich an ein saftig rosa gegrilltes Lammfilet, das Ganze auf einem Bett von aromatischem Grillgemüse und einer nicht minder wohlschmeckenden milden Tomatensauce.

Dazu eine ebenfalls geschmacklich als mild einzuordnende Sättigungsbeilage aus Bulgur, Kichererbsen und feinem Gemüse, es machte ein wenig den Eindruck, als wurde hier in einem tomatisierten Fond gegart, auch wenn dem Fleisch und der grillierten Paprika und Aubergine geschmacklich klar das Feld überlassen wurde.

Yilmaz Dogan erklärte, Fleisch medium zu servieren sei einer der Aspekte, in dem man sich den heutigen Geschmacksgewohnheiten angepasst habe, traditionell sei dies in der Türkei seiner Kindheit undenkbar gewesen.

Abermals eine kleine Offenbarung dann der einzige Rotwein an diesem Abend. Die indigene, robuste Rebe Öküzgözü, zu Deutsch „Ochsenauge“, verdankt ihren Namen ihren charakteristischen großen Beeren, die eben einem Ochsenauge optisch ähneln.

Neun Monate in französischer Eiche, eine Opulenz an roten Primärfrüchten die nie ins „Marmeladige“ abdriftete, sanfte Tannine und ein langer Nachhall erinnerten mich spontan an eine große Crianza und nicht erst jetzt stand für mich fest, dass ich die Türkei als Weinland bislang sträflich vernachlässigt hatte!

| 5. Gang |

Dondurmalı künefe

2013 Late Harvest, Muscat Blanc, Weingut Sevilen, Thrakien, Türkei

Da ich warme, teigige, leicht sündige Nachtische liebe, war das Künefe, das man servierte ein sehr willkommener Abschluss. Dieses Dessert darf man sicher auch eher zu den Klassikern zählen. Die Zubereitung aus dem Mozzarella sehr ähnelnden Käse Dil Peyniri, den „Engelshaar-Nudeln“ Kadayif und Zuckersirup schmeckt einfach grandios wenn sie frisch aus dem Ofen kommt und mir persönlich umso besser, wenn sie nicht hysterisch übersüßt wird wie klassisches Baklava, was hier gottlob der Fall war.

Nie fehlen darf hierbei ein wenig gemahlenes Kuş boku, die berühmte türkische Pistazie aus Gaziantep, die man in einigen Landesteilen so nennt was übersetzt in der Tat so viel wie „Vogelscheiße“ heißt.

Die kleine Beerengarnitur sorgte zusammen mit a part serviertem Vanilleis für etwas Frische zur recht mächtigen Süßspeise und bereicherte mitnichten nur dekorativ.

Und siehe da, auch Dessertweine beherrscht man in der Ägäis: spät geerntet, 8 Monate in französischer Eiche,  90 Gramm Zucker pro Liter. Goldgelbe Farbe mit öliger Reife. In der Nase sind Bratapfel, tropische Früchte und auch auf dem Gaumen Noten von Mango und Papaya zu erkennen.

Ich werde nie ein großer Dessertwein-Fan werden aber muss gestehen, dass das Pairing auch hier anstandslos und genussreich aufging.

Nun war es aber zunächst noch Zeit für ein paar schöne Fotos des Teams, das uns durch den Abend begleitete:

Nach dem Essen saßen wir noch etwas mit Herrn Dogan zusammen, der interessiert an Feedback war und immer bemüht sei, Rückmeldungen seiner Gäste ernst zu nehmen.

Dogan hat auch in nächster Zeit noch viel vor, während das Viertel sich weiter entwickelt, mehr Lebensqualität und Wohnraum geschaffen wird, trägt er dem Rechnung indem er nebenan, in den großzügigen Räumen eines ehemaligen Friseur-Salons, eine Weinbar eröffnen wird. Dort wird man neben einer sorgsam kuratierten Weinkarte mit einem Tapas-Konzept aufwarten, dass sich jedoch nicht nur auf die türkische oder levantinische Küche beschränken, sondern auch generellere mediterrane Töne anschlagen wird – es klang nach einer stimmigen „After-Work“ bzw. Lunch-Option.

Zeit für ein Resümee

Tablo bedeutet im Deutschen übrigens nicht „Tisch“, sondern „Leinwand“. Hat es mir also gefallen, das Bild, das man an diesem Abend vermittelte und würde ich hier auch zu Gast sein wollen, wenn ich nicht eingeladen werde?

Ich muss gestehen, dass ich mich nach den ersten beiden Gängen erst einmal gedanklich neu justieren musste. Völlige Avantgarde hatte ich nicht erwartet, jedoch war ich in der Kombination des Versprechens „Moderne“ bieten zu wollen mit der Gault Millau Bewertung und dem Preisgefüge doch eher auf eigenständige Kreationen eingestellt, die sich in der Aromatik innerhalb der Türkei bewegen und eben doch in jedem Gang mit frischen Ideen begeistern. Das war nicht der Fall.

Begeistert hat man mich dafür, wie eingangs erwähnt, mit herausragenden Produkten, tadellosem Handwerk, einer in Sachen Türkei augenöffnenden Weinbegleitung und einem Service, der keine Wünsche offen lässt – insofern würde ich hier auch privat wieder essen wollen.

Wenn ich zum Beispiel gute Freunde zu Besuch hätte, die die türkische Küche und das Land schätzen und die ich mit einem Abend im Restaurant hochklassig verwöhnen möchte, ohne zu viel Experimente auf dem Teller zu machen: ich wüsste nun, wo ich dies in beglückender Art und Weise tun könnte und das tablo ist daher für mich eine klare Empfehlung, wenn man weiß, was man hier erwarten kann und was nicht.

Zum Schluss noch an alle Beteiligten ein herzliches Dankeschön für den abermals sehr kurzweiligen wie angenehmen Abend und die netten Gespräche. Ich verbleibe in Vorfreude auf die nächste Gelegenheit!

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5 Gedanken zu „Das Restaurant tablo im Essener Südviertel: Türkisch für Fortgeschrittene?“

  1. Lieber Peter, wie immer ein herzlicher Bericht über ein feines Abendessen. Wenn es das in meiner Nähe gäbe, wäre ich dort Stammgast.

    • Lieber Carsten, da ihr beide Fisch sehr mögt wäre das was für Euch, auch was das Thema der eleganten Aromatik angeht. Danke für Deinen netten Kommentar, freut mich, dass Du es gelesen hast. LG, Peter

  2. Lieber Esskapator,

    vielen Dank für diesen profunden Einblick in die türkische Genusswelt jenseits des Drehspießäquators. Hier treffen appetitanregende Foodpics auf eine kurzweilige, aber äußerst fachkundige Schreibe. Als weinaffiner Pfälzer fand ich die Rebsaftreise extrem interessant, da ich – wie du wahrscheinlich vorher auch – keinen der beschriebenen Tropfen kannte. Insofern war dieser sehr ausführliche Gaumenreport nicht nur eine Lektion in Sachen orientalisch geprägter Produktküche, sondern auch ein kleines onölogisches Proseminar von den Hängen Anatoliens bzw. Ostthrakiens. Danke dafür. Hat Riesenspaß gemacht!

  3. Hätte Frau Baerbock gestern auf ihrer Türkeivisite sowas vorgesetzt bekommen, hätte sie ihren Amtskollegen vielleicht nicht so in den Senkel gestellt, denn bei solchen Köstlichkeiten ist gute Laune garantiert. Und wie immer auch beim Lesen deiner unterhaltsamen und profunden Ausführungen, die sind nichts anderes als sprachgewordener Genuss.

    Man mag mit Recht beklagen, dass die türkische Küche hier zu 99% aus Drehspießprodukten besteht, aber wir Deutschen machen’s im Ausland ja auch nicht anders und lassen uns von Haxe und Bratwurst repräsentieren. Umso mehr muss man sich freuen, dass jemand sich ein Herz fasst und ein Restaurant wie das tablo aufmacht. (Oder toilolo, wenn man nicht genau hinschaut…)

  4. So, lieber Peter, jetzt ist Zeit, Dir für diesen wunderbaren Bericht zu danken, der mir noch besser als die erste Esskapade gefällt. Das hat mehrere Gründe: Zum einen hast du es noch mehr vermocht, deine von soviel Fachkunde gestützten Beschreibungen der Speisen zu fokussieren und nicht in eine ausufernde Aufzählung auch des letzten Details abdriften zu lassen. Dabei ist dir sicher die – nach der Selbstbeschreibung – auch für mich überraschend traditionelle Küche des tablo entgegengekommen, die aber eben durch exzellente Produkte und tadelloses Handwerk zeigt, dass vermeintlich einfache Gerichte eben doch „groß“ sein können. Dies mit Empathie so zu beschreiben, dass die Leser*innen meinen, den Geschmack selbst auf der Zunge zu spüren, ist dir herausragend gelungen. Und schließlich ohne zu langen Anlauf die Wurzeln deiner (und die vieler anderer) gastronomischen Entwicklung einfließen zu lassen, lässt deinen Bericht eben so sympathisch werden, wie du selbst die Mannschaft des tablo beschreibst und lobst. KUDOS!

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